Die Wundreinigung elementare Grundlage für den Heilungsprozess

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Artikel aus MEDIZIN & PRAXIS Spezial Im Fokus – Wundgrund und Wundrand 

Die Wundreinigung – elementare Grundlage für den Heilungsprozess

Möglichkeiten der Wundreinigung und des Debridements bei Nekrosen, Biofilm und Fibrinbelag

Autor: Priv.-Doz. Dr. med. Gunnar Riepe

 

Der Begriff Débridement stammt aus dem Französischen und wurde vom Militärchirurg Ambroise Paré (1510–1590) in seinen Büchern zur Wundbehandlung verwendet.(1) Wörtlich übersetzt bedeutet es Abzäumen – bei Pferden das Entfernen vom Zaumzeug. Débrider wird auch übersetzt als „das Entfernen von Überflüssigem“ und Débridement damit als „Wundtoilette“ bezeichnet.(2) Im Deutschen wird Debridement meist ohne den Akzent geschrieben. WundWiki zitiert den DNQP Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ (2009) und bezeichnet Debridement als „die Entfernung von avitalem Gewebe“.(3)

 

Gibt es Evidenz?

Nein, aber Experten sind sich über die Wichtigkeit des Wunddebridements einig. In der S3-Leitlinie wird zwischen Wundreinigung und chirurgischem Debridement unterschieden. Während die Wundreinigung ohne Zerstörung intakter Strukturen erfolgt, ist das chirurgische Debridement die radikale Abtragung bis in intakte anatomische Strukturen. Beide Verfahren sollen Störungen im physiologischen Heilungsverlauf eliminieren. Störungen können dabei Fremdkörper, Nekrosen und feste Krusten, überschüssige Enzyme bzw Eiweisse, übermäßige Nässe und eine kritische Kolonisation von in Biofilmen organisierten Bakterien sein. Bei der atraumatischen Wundreinigung wird eine aktive, periodische Wundreinigung durch Spülung mit steriler, wirkstofffreier Lösung von einer passiv periodischen Wundreinigung durch Hydrogel oder Larven, allerdings nicht durch medizinischen Honig, unterschieden. In den vorhandenen Studien konnte zu Wundreinigung und chirurgischem Debridement weder Nutzen noch Schaden abgeleitet werden. Unter den Experten der Fachgesellschaften fand sich aber eine sehr breite Zustimmung für beide Verfahren.(4)


Ist Wundreinigung in der Natur überhaupt notwendig?

Ja. Die Natur reinigt Wunden alleine. Mit dem Austritt von Blut und Lymphe, „Wundwasser“ wird Schmutz weggespült und weiße Blutkörperchen übernehmen die Vernichtung von überschüssigen Bakterien und Fremdkörpern und verwandeln sich in Zellen um, die den Wundverschluss und die Narbenbildung vollbringen. Wundheilung ist damit ein kontrollierter Entzündungsprosess, der klinisch mit einer geringen Umgebungsrötung und leichten Schmerzen einhergehen kann. Im Idealfall beim gesunden Verletzten, gerinnt das Blut und trocknet mit dem zell- und eiweissreichen Wundexsudat zu einer Kruste, dem Schorf, unter dem die Wunde geschützt und in Ruhe abheilen kann. Leider können auch im Idealfall Wundbrand, Wundrose, Wundstarrkrampf oder die Infektion mit hauteigenen Keimen zum Tod des Verletzten führen. Tiere, insbesondere Raubtiere lecken ihre Wunden sauber. Militärärzte wie Paré und viel später auch Napoleons Feldarzt Larrey, beobachteten im Rahmen ihrer Triage, daß verletzte Soldaten, die lange verletzt auf dem Kriegsfeld lagen, eine höhere Überlebenschance hatten, wenn die Natur mit Maden die Wunden gereinigt, debridiert hatte. Soldaten waren im 16. Und 19. Jahrhundert zumeist junge, gesunde, allenfalls unterernährte und erschöpfte Patienten. Chronisch kranke Patienten heute haben eine schlechte Durchblutung (pAVK), eine gestörte Immunabwehr bedingt durch ihr höheres Alter, Diabetes mellitus, Autoimmunerkrankungen, wundheilungshemmende Medikamente oder eine Neuropathie, die den idealen Wundheilungsprozess erheblich behindern. Die Reinigung ihrer Wunden kann man daher nicht der Natur alleine überlassen. Wundreinigung und chirurgisches Debridement ist unerlässlich.


Braucht man einen Wundabstrich?

Nein. Wie die Haut eine physiologische Hautflora hat, sind Wunden immer mit Keimen bedeckt. Man nennt dies Kontamination. Der Übergang von dem kontrollierten Entzündungsprozess, den wir Heilung nennen, zur bedrohlichen Entzündung, die wir Infektion nennen, ist fliessend und nur klinisch und laborchemisch einzuschätzen. Der Wundabstrich ist oberflächlich und nicht quantitativ. Er kann zwischen Kontamination und Infektion nicht unterscheiden. Insbesondere Biofilme, in denen Keime geschützt und teilweise inaktiv leben, erschweren den Keimnachweis durch Wachstum auf Nährlösungen. Ein herkömmlicher Wundabstrich ist daher für die lokale Infektbehandlung nicht wegweisend. In der S3-Leitlinie heißt es wörtlich: „Die Dekontamination kann bei Verdacht einer erregerbedingten Entzündung erwogen werden. Eine vorherige Bestimmung der Krankheitserreger ist nicht erforderlich.(4) Die komplizierte Leitliniensprache muss hier

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 Abb. 1: Nach Entfernung einer Nekrose Abstrich unter Druck und Entnahme von Gewebe zur mikrobiologischen Untersuchung

erläutert werden. Die Bezeichnung „kann“ ist hinter „soll“ die zweithöchste Entität. Die Dekontamination als Kombination aus Antiseptikum und mechanischer Wundreinigung ist demnach bei Verdacht auf Infektion individuell sehr wichtig aber nicht verpflichtend. Wer unbedingt störende Keime identifizieren möchte muss unter sterilen Bedingungen an der gereinigten Wunde einen tiefen Abstrich oder eine Biopsie entnehmen.


Wieso findet das Debridement in der Praxis nicht statt?

Obwohl sich die Experten über die hohe Bedeutung des Debridements einig sind, gibt es in der Praxis viele Widrigkeiten, die verschiedenen Verfahren zum Debridement erschweren. Diese werden durch die folgende Fragen erörtert.


Wird Wundreinigung bezahlt?

Ja, in der Klinik besser als ambulant. Das DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information) erstellt einen OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel). Hierin sind alle medizinischen Leistungen kodiert. Diese OPS Codes sind für die Abrechnungen im Gesundheitssystem unerlässlich. Das OPS unterscheidet im Wundbereich ein Debridement als operative Maßnahmen mit Anästhesie und als nicht operative Maßnahmen ohne Anästhesie.(5)
• Operative Maßnahme: 5-896 ff - Chirurgische Wundtoilette [Wunddebridement] mit Entfernung von erkranktem Gewebe an Haut und Unterhaut. Ein Wunddebridement ist ein chirurgisches oder ultraschallbasiertes Vorgehen zur Entfernung von geschädigtem, infiziertem, minderdurchblutetem oder nekrotischem Gewebe der Haut und Unterhaut bis zum Bereich des vitalen Gewebes. Die Anwendung der Kodes setzt eine Allgemein- oder Regionalanästhesie oder eine lokale Infiltrationsanästhesie voraus (Ausnahme: Es liegt eine neurologisch bedingte Analgesie vor).

Nicht operative therapeutische Maßnahme: 8-192 ff - Entfernung von erkranktem Gewebe an Haut und Unterhaut ohne Anästhesie (im Rahmen eines Verbandwechsels) bei Vorliegen einer Wunde.
Das effektive Entgelt ist von der Hauptdiagnose abhängig. Beim Ulcus cruris venosum bedeutet das einen Erlös von ca 2646,– € für Wundreinigung gegenüber 3387,– € für chirurgisches Debridement. In der Tabelle 1 wird exemplarisch der Erlös in der Klinik für 4 chronische Wundarten dargestellt.

Außerhalb der Klinik wird nach dem EMB (einheitlicher Bewertungsmaßstab) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bezahlt.

Bild 2Hier gibt es zwei Ziffern die der Wundreinigung und dem chirurgischen Debridement zugeordnet werden können.(6)
• Operative Maßnahme: - 31102 Dermatochirurgischer Eingriff der Kategorie A2 (darunter auch OPS 5-896 ff) = 155,63 €

• Nicht operative therapeutische Maßnahme: - 18340 Behandlung von sekundär heilenden Wunden oder Decubitalulcera
= 29,44 € einmal im Behandlungsfall
- 02311 Behandlung Diabetischer Fuß
= 15,15 € je Bein, je Sitzung
- 02312 Behandlungskomplex eines oder mehrerer chronisch venöser Ulcera cruris
= 5,95 € je Bein, je Sitzung


Wieso findet chirurgisches Debridement zu selten statt?

Chirurgisches Debridement ist die radikale Abtragung bis in intakte anatomische Strukturen, damit die effektivere aber auch aufwendigere und besser bezahlte Form der Wundreinigung. Da intaktes Gewebe erreicht wird ist das chirurgische Debridement meist schmerzhaft. Eine adäquate Schmerzvermeidung ist moralisch zeitgemäß und auch in der S3 Leitlinie von allen Experten als ein „soll“ gefordert.(4) Leider wird „Chirurgen“ pauschal klischeehaft eine geringe Empathie zugesprochen. Persönliche schlechte Erfahrungen von Patienten und suggerierte Ängste von medizinischem Personal führen dazu, dass die notwendige effektive Wundreinigung vielfach ad ultimo verschoben wird, bis sie nur noch in Narkose möglich ist. Das muss nicht so sein. Mit erfahrenen Anästhesisten zusammen kann an den Extremitäten und am Gesäß fast immer in Regional-, Lokal oder Spinalanästhesie schmerzfrei chirurgisch debridiert werden. Die vermeintlich fehlende Narkosefähigkeit bei multimorbiden Patienten darf nicht die Bankrotterklärung des notwendigen Debridements sein. Bei Polyneuropathie, häufig Folge des Diabetes mellitus, ist meist keine Anästhesie für ein tiefes chirurgisches Debridement an den Füssen erforderlich. Bei feuchten Nekrosen, insbesondere an der Ferse und am Gesäß, kann die Nekroseplatte unter Belassung eines schmalen Randsaumes zum Hautrand hin herausgeschnitten werden und ein darunterlegender Abszess entleert werden. Die Haut am Gesäß eines Menschen mit Dekubitus ist unter Umständen auch weitgehend denerviert. Somit erklärt sich warum das lange Liegen auf dem Dekubitus oft schmerzarm toleriert wird.

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Abb.2: Sakraler Dekubitus. Nach chirurgischer Entfernung der Nekroseplatte kann der Abszess und nekrotisches Subkutangewebe ausgeräumt werden. Die klinisch nicht mehr infizierte Wunde kann mit einem Superabsorber versorgt werden.

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Abb.3: Feuchte Nekrose an der Ferse angetragen unter Belastung eines schmalen Randsaumes. Hier klinische kein Abszess aber keine Blutung bei arterieller Ischämie.


Wieso findet eine Wundreinigung nicht immer statt?

Der EBM weist keinen hohen Erlös aus. Der hohe Zeitaufwand des Verbandwechsels macht die Wundbehandlung in der Praxis unattraktiv. Hinzukommt die unterschiedliche Regelung der Verbandstoffe im Sprechstundenbedarfvereinbarung (SSB) der regionalen KV. Die Missachtung des SSB führt obendrein zum gefürchteten Regress. Andererseits darf ein chirurgisches Debridement streng genommen nur in den Praxisräumen abgerechnet werden. Das pragmatische Debridement im Pflegeheim ist nicht abrechnungsfähig.
Damit erbt der Pflegedienst die Aufgabe der aktiven und passiven periodischen Wundreiniugung gemäß S3-Leitlinie.(4) Die für die aktive Wundreinigung erforderlichen wirkstofffreien Spüllösungen, Sterilduschfilter und Antiseptika müssen bis auf einzelne Ausnahmen vom Patienten selber bezahlt werden. Damit kann die gründliche Spülung, die im Krankenhaus gewohnt ist, zu Hause minimalistisch ausfallen. Die Industrie entwickelt aktuell Debridementwerkzeuge aus Mikrofilamenten, groben PUR-Schaumstoffen oder als getränkte Reinigungstücher.(7) Diese sind steril aber keine Verbandstoffe und müssen ebenso vom Patienten bezahlt werden. Die finanziellen Mittel und die Bereitschaft zu diesen Ausgaben fehlt häufig gerade bei chronisch kranken Patienten. Es bleibt die passive periodische Wundreinigung mit Hydrogel, das aufgrund der aktuellen Gesetzeslage demnächst auch nicht mehr erstattungsfähig ist. Die bereits von Paré beschriebenen Larven werden heute steril gezüchtet und wurden zwecks Verordnungsfähigkeit zum Medikament deklariert. Aufgrund der zu niedrigen Preisfestlegung durch den GBA (gemeinsamer Bundesausschuss) wurden die Larven durch den Hersteller vom Deutschen Markt genommen. Larven sind in Deutschland also nur noch in der Klinik einsetzbar. Hier begrenzt die Mittleregrenzwerweildauer die Liegezeit und die Zahl der möglichen Larven Behandlungszyklen. Damit bleibt der medizinische Honig, gegen den sich die Expertenkommission der S3-Leitlinie wegen Schmerzangaben in Studien ausgesprochen hatte.


Letzendlich muss der Wundpatient abgeholt werden

Paré war einfacher Barbier-Chirurgien, Wundarzt, er schrieb in Französisch und nicht in Latein, wie für die akademischen im 16. Jahrhundert üblich. Als Chirurg des Königs wurde er bedeutend und seine Bücher bekannt. In französischer Sprache waren sie für mehr Menschen lesbar als lateinische Abhandlungen. Auch heute müssen wir „die Sprache unserer Patienten“ sprechen. Sie erdulden die Schmerzen und entscheiden über die Kosten für Spüllösungen, Hydrogel, Antiseptika und Debridementwerkzeug. Im Idealfall verstehen Patienten den Nutzen des Debridements für die Heilung ihrer Wunde. Sie kaufen selber Spüllösung und Werkzeug. Sie erhalten eine Einweisung in das selbständige Debridement vom Hausarzt oder Wundmanager und werden bei der Verbandneuanlage vom Pflegedienst dokumentiert und kontrolliert. Bei fehlender Besserung in einer zusammen mit dem Hausarzt definierten Zeit, weist dieser sie in eine Klinik ein, die Erfahrung hat in der Ursachenermittlung von chronischen Wunden („Wundzentrum“). Dies ist keine Utopie sondern wird immer mehr in gut vernetzten Regionen umgesetzt. Es darf nicht der Schein trügen, dass belegte Wunden ausschließlich durch Auflagen gereinigt werden können. Das ist unwirtschaftlich, zeitaufwendig und droht langfristig auch vom Patienten bezahlt werden zu müssen. Letztendlich muss immer die Ursache der chronischen Wunde (Durchblutungsstörung, Druck oder Ödem) behoben werden. Dann kann die Wunde chirurgisch gereinigt werden, entweder mit Eigenhaut gedeckt, oder zeitnah mit modernen Wundauflagen zur Abheilung gebracht werden.Bild 5

Mit der WundUhr® haben Anke Bültemann und ich 2010 einen Ministandard für die Wundbehandlung entwickelt. Die WundUhr® soll die Behandlung transparenter machen und Patienten und Behandlern helfen eine Sprache zu sprechen. Auf der Webseite www. wunduhr.de werden die verschiedenen Debridementverfahren mit einander verglichen (Tab 2). Damit die betroffenen noch besser abgeholt werden wurde die Wunduhr in viele Dialekte und Sprachen übersetzt. Damit der oft empfundene und nicht geäußerte Ekel vor der eigenen Wunde überwunden wird haben wir 3D Dioramen der Wunduhr in denen man in Modelllandschaften abstrahiert die Wundheilung erklären kann.

uhrBild 6Abb. 5: Shaving eines Ulcus cruris venösem mit Dermatom. Der intakte Wundgrund ist sauber und blutet.

6 Abb. 6: Skalpell.

7Abb. 7: Ultraschallreinigung, mit Wasser als Schallübertragungsmedium dringt der Ultraschall durch Belag und Biofilm, erzeugt Cavitationen, die Keime abtöten und das Gewebe zur Granulation anregen.
8Abb. 8: Kürette, eine scharfe, kreisgebogene Einmalklinge aus der Podologie.

9Abb. 9a: Larven im BioBag®.

10Abb. 9b: Freilaufende Larven.

11Abb. 10: Mikrofilamenttuch.

12Abb. 11: Grober PUR Schaum.

13Abb. 12: Sterilduschfilter.

Literatur:
1. Paré, Ambroise. La méthode de traicter les playes faictes par hacquebutes et aultres bastons à feu et de celles qui sont faictes par flèches, dardz et semblables, aussy des combustions spécialement faictes par la pouldre à canon. Vivant Gaulterot, Paris 1545
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4. AWMF S3-Leitlinie: Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronisch venöse Insuffizienz. Stand: 16.01.2014 Version: Entwurfsfassung 2
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7. Protz, Kerstin. Moderne Wundversorgung 9. Auflage. Elsevier GmbH, München 2019 S.34 ff

 

Verfasser:

Priv. Doz. Dr. med. Gunnar Riepe

Klinik für Gefäßmedizin und Wundbehandlung

Heilig Geist Klinik

Bahnhofstraße 7

56154 Boppard